Laudatio für Carolin Emcke

20. Juli 2024

Preisträgerin der Kompassnadel 2024 des Queeren Netzwerks NRW

Köln, 20. Juli 2024

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freund*innen,

wir sprechen in diesen Zeiten sehr viel über unsere Demokratie.

Demokratie bedeutet für mich auch: Miteinander im Gespräch zu sein.

Demokratie bedeutet Aushandlung, bedeutet öffentliche Auseinandersetzung über Ziele, Vorstellungen und den richtigen Weg.

Das Queere Netzwerk NRW ehrt heute mit der Kompassnadel eine Frau, die in diesem öffentlichen Gespräch, in dieser öffentlichen Aushandlung unserer Demokratie immer klar und mutig und menschlich und solidarisch Stellung bezieht.

Eine queere Journalistin, Publizistin und Intellektuelle,

eine mutige, kluge und leidenschaftliche Stimme der Vernunft und der Freiheit,

eine unermüdliche Verteidigerin der Menschenwürde des Einzelnen

und eine Chronistin, ein Kompass und eine Vordenkerin für unsere Community.

Diese mehr als würdige Preisträgerin ist Carolin Emcke.

 

Als wir in dieser Woche Kontakt hatten, habe ich Dir geschrieben, dass ich gerade noch einmal systematisch Deine Bücher und Texte durchgehe, um mich vorzubereiten auf diese Laudatio, in etwa so wie beim Literarischen Quartett. Und ich gebe zu, dass ich selten vor einer Rede so aufgeregt und so ehrfürchtig war.

Denn für mich bist Du – das darf ich sagen – die vielleicht bedeutendste intellektuelle Stimme im deutschsprachigen Raum nicht nur für unsere queere Community, sondern für den Schutz und die Verteidigung der Menschenwürde überhaupt.

Du hast einmal geschrieben, dass es Dir darum geht, „das Unsagbare sagbar zu machen, das Unzeigbare zeigbar zu machen, damit all jene, die verstummen oder sich unsichtbar gemacht fühlen, wieder Teil der Gesellschaft werden“.

Das verstehst Du als Deinen Auftrag. Und so begleiten und bewegen mich, begleiten und bewegen uns, Deine Worte seit vielen Jahren.

Deine Worte schaffen uns als LSBTIQ* einen Platz und sie fordern ihn für uns ein.

Deine Worte sind dabei zutiefst persönlich und intim – Du machst Dich nahbar und dadurch auch verwundbar. Diese Verwundbarkeit riskierst Du für unsere Community und letztlich für unsere Gesellschaft, motiviert von der Hoffnung auf die Kraft von Empathie und Verständnis. Wir können Dir dafür gar nicht genug danken!

In Deinem Buch „Wie wir begehren“ beschreibst Du so persönlich und tiefgründig, wie es nur geht, Deine eigene Geschichte des Begehrens. Du denkst darüber nach, wie die gesellschaftlichen Normen dieses Begehren geprägt haben und prägen. Du erzählst von Deiner Jugend und den Schwierigkeiten, die Du aufgrund Deines Begehrens, deines So-Seins, Deiner Identität erlebt hast. Wenn Du schilderst, wie oft Du Dich fehl am Platz und missverstanden gefühlt hast, dann schilderst Du eine kollektive Erfahrung, dann schilderst Du eine kollektive Identität queerer Menschen.

Und diese queere kollektive Identität ist und bleibt auch geprägt von Verwundbarkeit, von Verletzlichkeit, von Angreifbarkeit, von Unsicherheit, von Gewalt, von Schmerz, von Trauer.

Denn trotz aller politischen und rechtlichen Fortschritte bleiben wir eine verwundbare Gruppe, gegen die Ressentiments mobilisiert werden. Gerade in Krisenzeiten – wir erleben es jetzt wieder – ist unsere Gesellschaft anfällig für Hass und Gewalt, die im Namen einer behaupteten Normalität auch auf LSBTIQ* zielen.

Die Akzeptanz von LSBTIQ* ist leider weit davon entfernt ein Selbstläufer zu sein. Vielleicht wird sie auch nie ein Selbstläufer sein.

Du schreibst:

„Gegen queere Menschen wird gehetzt und gespottet, nicht nur am rechtsradikalen Rand, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft. Die Anfeindungen und die Gewalt nehmen rings um uns herum zu. Es gibt wieder diese Rede von „normalen Leuten“ und den „anderen“, die vorgeblich nicht normal seien. Nicht nur in den USA, sondern auch in Ungarn, in Polen, in Italien und hier in Deutschland gibt es einen als „Kulturkampf“ verharmlosten Backlash, in dem wir, die wir etwas anders lieben, etwas anders begehren, etwas anders aussehen als die Norm, angefochten werden.“

Wir LSBTIQ* sind ein Sinnbild für die Freiheit, selbst über das eigene Leben zu bestimmen. Gerade deshalb geraten wir ins Visier von autoritären, rechtsextremen, religiös-fundamentalistischen und nationalistischen Kräften, die diese Freiheit bekämpfen – und damit den Kern von Demokratie.

Sie wollen uns wieder unsichtbar machen.

Aber hier kommt die schlechte Nachricht für alle, die das als Ziel haben:

Wir lassen uns nicht mehr unsichtbar machen!

Du schreibst: „Das alles nur, weil es diesen Hass gibt auf die Art, wie wir lieben oder leben. Weil es diesen Hass gibt auf unser Glück, für das wir uns nicht schämen wollen.“

All das führt uns unsere Verletzlichkeit vor Augen, die wir zu gern verdrängen, auch an Wochenenden wie diesem, wo es – zu Recht! – auch sehr viel um Lebensfreude und um das Feiern der vielen, vielen Erfolge geht.

Diese, unsere Verwundbarkeit hat ihren Ursprung in einer heteronormativen Ordnung, einer überaus präsenten heteronormativen Normalität, die sich subtil oder platt jeden Tag aufdrängt und bisweilen Bahn bricht in Hass und Verachtung.

Dann, in diesen Momenten, sind Deine Worte da, sie stehen uns zur Seite in Zeiten des Schocks, der Trauer und des Schmerzes.

Nach den Angriffen auf queere Orte und vermeintliche Safe Spaces wie in Orlando oder in Ljubljana waren Deine Worte da und haben Trost gespendet.

Deine scharfsinnige Analyse der Mechanismen von Ausgrenzung und Gewalt in Deinem Buch „Gegen den Hass“ erklärt, wie Hass als Mittel der Abgrenzung und Entmenschlichung eingesetzt wird, um Macht zu sichern und andere zu unterdrücken.

Aber Du weigerst Dich, das hinzunehmen, Du weigerst dich fatalistisch oder zynisch aufzugeben.

Stattdessen zeigst Du Wege auf, wie wir als Community, wie wir als Gesellschaft diesen destruktiven Kräften entgegentreten können. Durch diese Mischung aus persönlicher Reflexion, theoretischer Analyse und politischem Engagement lieferst Du ein wichtiges Plädoyer für Menschlichkeit und Solidarität.

Und dieses Moment der Solidarität, der Stärke, der Kraft des Queeren ist auch Deine Quelle der Energie, der Inspiration. Trotz der Wunden, trotz der existenziellen Unsicherheit ist Queeres Leben, ist Queersein für Dich ein „ungeheures Glück“, etwas für das Du, etwas für das wir dankbar sein können und dürfen. Denn Queersein bedeutet für Dich auch immer „sich nicht belügen zu können“, bedeutet ein „bewussteres Leben“, da gesellschaftliche Vorgaben und Normen geprüft und überprüft werden müssen, ob sie wirklich passen.

Und ich hoffe, ich spreche für uns alle, wenn ich sage: Ja, genau das stimmt. Ein offenes, ein bewusstes Leben, ein zu-Sich-stehen ist das glücklichere Leben.

Und so beschwörst Du auch die Kraft, die Resilienz, die Stärke der queeren Community, ihren Mut, ihre Zuversicht und ihr unerschütterliches Arbeiten daran „die Heimat, die wir brauchen, selbst zu schaffen“. Wir alle werden bestärkt und ermutigt, die Beziehungen der Fürsorge, des Vertrauens, des Anerkennens zu weben. Dieser Widerstand, dieser Stolz, dieses Einfordern, diese Lust, diese Freiheit – auch sie gehören zur queeren Erfahrung, sind vielleicht zwei Seiten einer Medaille. Es ist diese Geschichte der Wehrhaftigkeit, in die Du Dich so stolz und selbstbewusst wie auch demütig und dankbar verortest, aus der Du Deine Kraft schöpfst.

Und auch ich finde, dass wir bei allen täglichen Mühen, bei aller erlebten Diskriminierung, bei allen politisch harten Kämpfen auch immer uns selber sagen sollten: Wir können verdammt stolz sein auf das, was wir geleistet haben – für uns selbst und für diese Gesellschaft!

Und auch wenn es in dieser Laudatio nicht um Tagespolitik gehen soll, möchte ich Dir zum Schluss trotzdem auch ganz persönlich danken für Deine Rückenstärkung.

Als in den letzten beiden Jahren unser Vorhaben eines Selbstbestimmungsgesetzes diskutiert wurde, warst Du – genau wie ich – schockiert zu sehen, wie die Existenz von trans*, inter* und nicht-binären Menschen öffentlich in Frage gestellt, bisweilen sogar negiert wurde, wie ihre Grundrechte öffentlich verhandelt wurden. Auch hier warst Du solidarisch und glasklar. Wie Du war auch ich zwischendurch nicht sicher, ob das Gesetz bei diesen massiven Angriffen, bei diesen hasserfüllten Kampagnen wirklich kommt.

Und jetzt steht das Selbstbestimmungsgesetz im Gesetzesblatt und tritt in diesem Jahr in Kraft.

Danke liebe Carolin auch hier für Deine Solidarität!

Ich schließe mit Deinen eigenen Worten:

„Wir dürfen uns nicht wehrlos und sprachlos machen lassen“, hast Du bei Deiner Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gesagt.

Liebe Carolin,

auch dank Deiner Arbeit, Deines Engagements, Deiner Worte, Deines Seins, werden wir niemals sprachlos sein und

wir werden uns niemals wehrlos machen lassen!

Von Herzen Glückwunsch zur Kompassnadel 2024!