Grüne legen Gesetzentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz vor

Heute habe ich in einer Pressekonferenz unseren Grünen Gesetzentwurf für ein GE Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt. Dazu kommentiere ich :

„Dieser Gesetzentwurf beendet die jahrzehntelange Bevormundung und Entrechtung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland. Er löst das diskriminierende Transsexuellengesetz ab und schafft ein neues, modernes Selbstbestimmungsrecht.
Alle Menschen haben das Recht auf Anerkennung ihrer Persönlichkeit, auf Schutz vor Diskriminierung und auf Unterstützung. Trans- und intergeschlechtlichen Menschen wird dies bis heute verwehrt. 40 Jahre nach der Verabschiedung des Transsexuellengesetzes braucht es endlich eine neue gesetzliche Grundlage.
Die Bundesregierung missachtet hingegen seit Jahren die Situation von trans- und intergeschlechtlichen Menschen und setzt damit ihre Bevormundung bis heute fort.
Über seinen Körper, über seine Sexualität und über sein Geschlecht kann nur eine Person Auskunft geben – und das ist jeder Mensch selber. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu zahlreiche Urteile gesprochen.
Die aktuelle Rechtslage strotzt vor Schikanen gegenüber Menschen, die selber und ohne Diskriminierung über ihren Geschlechtseintrag bestimmen möchten. Sie hat viel Leid geschaffen, das bis heute anhält. Bis heute wird intergeschlechtlichen Säuglingen und Kindern ohne deren Zustimmung operativ ein Geschlecht zugewiesen – mit oft traumatischen Folgen im späteren Verlauf ihres Lebens. Das muss endlich verboten werden.
Die Erfahrungen mit dem novellierten Personenstandsgesetz aus dem Hause Seehofer zeigen außerdem, dass die stümperhaften Regelungen des Personenstandsgesetzes zu einer Rechtsunsicherheit geführt haben, die endlich beendet werden muss.
Unser Gesetzentwurf schafft Rechtsklarheit und setzt das Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit um.
Wir machen allen demokratischen Fraktionen das Angebot, sich auf der Grundlage dieses Gesetzentwurfs noch in dieser Legislaturperiode zu einigen. Die einzig sinnvolle Reform des Transsexuellengesetzes ist seine Ersetzung durch ein Selbstbestimmungsgesetz.“

 

Immer wieder stellen Menschen im Laufe ihres Lebens fest, dass das bei Geburt zugewiesene Geschlecht nicht ihrer tatsächlichen Geschlechtsidentität entspricht. Sie stehen vor der Herausforderung, anderen diese Tatsache begreiflich zu machen. Zu Recht fordern sie ein, dass ihre Geschlechtsidentität respektiert wird. Rechtlich gesehen beinhaltet das unter anderem die Möglichkeit, dass das personenstandsrechtlich erfasste Geschlecht berichtigt und gegebenenfalls geschlechtsspezifische Vornamen geändert werden.

Transsexuellengesetz

Dieses Änderungsverfahren wird in Deutschland durch das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) reguliert, nach welchem das Verfahren vor den Amtsgerichten zu führen und die ausführliche Begutachtung durch zwei Sachverständige erforderlich ist. Dieses Gesetz ist 40 Jahre alt und entspricht nicht dem Stand der Wissenschaft. Es stellt für die Änderung der Vornamen und die Berichtigung des Geschlechtseintrages entsprechend der selbst bestimmten Geschlechtsidentität unbegründete Hürden auf, die das Selbstbestimmungsrecht in menschenunwürdige Weise beeinträchtigen. Dementsprechend muss sich beispielsweise eine Transfrau („Mann zu Frau“) als psychisch kranker Mann diagnostizieren lassen, damit ein Gericht entscheidet, dass sie doch eine Frau ist. Nachdem die Mitgliedstaaten des Europarates aufgefordert sind, ihre Verfahren zur Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags schnell, transparent, leicht zugänglich und auf Selbstbestimmung basierend zu gestalten, sind einige europäische Nationalstaaten dem Beispiel Argentiniens gefolgt und haben diese Verfahren niedrigschwelliger gestaltet. Schweden (2012), Dänemark (2014), Malta (2015), Irland (2015), Norwegen (2016), Belgien (2018) und Island (2019) haben ein Antragsverfahren ohne Begutachtung für die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität eingeführt (Personenstands- und Namensänderung).

Zudem werden in Deutschland an intergeschlechtlichen Kindern immer noch genitalverändernde chirurgische Eingriffe vorgenommen, die medizinisch nicht notwendig sind. Betroffene und ihre Verbände sowie nationale, europäische und internationale Organisationen kritisieren diese Praxis seit Jahren und fordern die Einführung eines Verbots genitalverändernder Operationen im Kindesalter.

Grüner Gesetzentwurf

Daher sind eine radikale Reform des Transsexuellenrechts und ein Verbot der genitalverändernden chirurgischen Eingriffe überfällig. Wir schlagen ein Selbstbestimmungsgesetz vor, dessen Leitbild die persönliche Freiheit und nicht irgendwelche Ordnungsvorstellungen über die Geschlechter ist. Es ist höchste Zeit, dass die tatsächliche Vielfalt von Identitäten akzeptiert wird, anstatt trans und intergeschlechtliche Menschen in vorgegebene Raster zu pressen und ihnen das Leben schwerzumachen.

Wir wollen das Verfahren für die Änderung der Vornamen und Berichtigung des Geschlechtseintrages deutlich vereinfachen und nur vom Geschlechtsempfinden der Antragstellenden abhängig machen. Die Transgeschlechtlichkeit kann nicht diagnostiziert werden, lediglich die Antrag stellende Person selbst kann letztlich über ihre geschlechtliche Identität Auskunft geben. Es wird zudem auf die Anrufung eines Gerichts verzichtet. Der Antrag ist bei den Standesämtern zu stellen, so dass die Berichtigung im Rahmen eines Verwaltungsaktes unbürokratisch erfolgen soll.

Mit Vollendung des 14. Lebensjahres …

Der grüne Gesetzentwurf ermöglicht ab Vollendung des 14. Lebensjahres die Berichtigung des Geschlechtseintrages und Änderung der Vornamen auch ohne Mitwirken des gesetzlichen Vertreters. Ab diesem Alter misst die Rechtsordnung Minderjährigen die Fähigkeit bei, Verantwortung für Handlungen und (identitätsbezogene) Entscheidungen zu übernehmen, so etwa durch die Strafmündigkeit und die Religionsmündigkeit.

Personen unter 14 und geschäftsunfähige Personen

Das Verfahren für Personen, die das 14. Lebensjahr nicht vollendet haben, sowie für geschäftsunfähige Personen bedarf der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertretung. Diese kann im Falle einer Weigerung gerichtlich ersetzt werden, wofür die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands bestimmt ist.

Die neue geschlechtliche Identität darf nicht ignoriert werden

Ein wesentlicher Schwerpunkt des Selbstbestimmungsgesetzes ist auch die Reform des Offenbarungsverbotes – also des Verbotes, die neue geschlechtliche Identität zu ignorieren oder auf die alte Identität abzustellen. Das bisherige Offenbarungsverbot hat sich als zahnlos erwiesen: Immer wieder haben Behörden und Unternehmen sich geweigert, Unterlagen oder Zeugnisse neu zu erstellen. Für die Betroffenen folgt deswegen nach dem Kampf um die neue Identität häufig ein Krieg um die Anerkennung der neuen Realität durch die Umwelt. Unser Gesetzentwurf sieht nun bei einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verweigerungshaltung eine strafbewehrte Ordnungswidrigkeit vor.

Weitere Änderungen

Zudem statuiert das Selbstbestimmungsgesetz einen Anspruch auf Achtung des Selbstbestimmungsrechts bei Gesundheitsleistungen, verpflichtet Bund, Länder und Kommunen zum Ausbau der bisherigen Beratungsangebote und führt eine Regelung für trans- und intergeschlechtliche Eltern ein.

Verbot genitalverändernder chirurgischer Eingriffe

Um die Menschenrechtsverletzungen an intergeschlechtlichen Kindern zu verhindern führt das Selbstbestimmungsgesetz ein Verbot genitalverändernder chirurgischer Eingriffe, die medizinisch nicht notwendig sind, ein. Dabei geht es um kosmetische oder vermeintlich psychosoziale Eingriffe, denen intergeschlechtliche Säuglinge und Kinder, die nicht mit eindeutig weiblichen oder männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren werden, in dem Versuch unterzogen werden, ihre körperliche Erscheinung und Funktion mit den binären Geschlechterstereotypen in Einklang zu bringen.

Ist ein medizinischer Eingriff zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit des Kindes erforderlich, besteht die Möglichkeit einer Einwilligung. Für diese Fälle wird ein familiengerichtliches Genehmigungsverfahren eingeführt, um die Durchsetzung des Verbots zu stärken und ausreichend Schutz im Einzelfall zu gewährleisten.

Jugendliche ab 14. Lebensjahr können entweder mit Einwilligung der Eltern oder mit Genehmigung des Familiengerichts in genitalverändernde chirurgische Eingriffe einwilligen. Die Regelung soll der wachsenden Autonomie des Kindes in Fragen der eigenen Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit Rechnung tragen.