Bundesregierung verbessert Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt

19. Juni 2024

Die Bundesregierung hat heute den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen beschlossen. Mit dem Gesetzentwurf verbessert die Bundesregierung den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung und unterstützt betroffene Menschen bei der Aufarbeitung des Erlebten. Durch regelmäßige Lageberichte soll auch die Berichterstattung zum Ausmaß sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche verbessert werden.

 

Dazu erklärt Sven Lehmann, Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt (Queer-Beauftragter):

 

„Mit dem Gesetzentwurf werden die Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen sowie die der Rechte und Interessen von Betroffenen endlich gestärkt. Das begrüße ich sehr, besonders auch im Hinblick auf jugendliche Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie andere queere Menschen (LSBTIQ*).

 

Die wenigen gesicherten Erkenntnisse zu den Erfahrungen von LSBTIQ*-Jugendlichen mit sexualisierter Gewalt sind besorgniserregend. So weisen Studien darauf hin, dass die sexuelle Orientierung ein zentraler Risikofaktor für die Erfahrung körperlich sexualisierter Gewalt ist. Lesbische, schwule und bisexuelle Jugendliche haben ein größeres Risiko von körperlicher sexualisierter Gewalt betroffen zu sein. Viele LSBTIQ*-Jugendliche geben an, in der Öffentlichkeit wegen der eigenen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität sexuell belästigt oder beleidigt worden zu sein. Bei den trans* weiblichen Jugendlichen ist es sogar jede Zweite.

 

Die erhöhten Vulnerabilitäten aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität werden in dem Gesetzesentwurf und damit in der Arbeit und der vorgesehenen Berichtspflicht der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) explizit berücksichtigt und adressiert. Der verbesserte Schutz auch von jugendlichen LSBTIQ* vor sexualisierter Gewalt ist auch im Aktionsplan „Queer leben“ vereinbart.“

 

Hintergrund

 

In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass bei den geplanten Maßnahmen die erhöhte Vulnerabilität kindlicher oder jugendlicher Opfer sexueller Gewalt und Ausbeutung beachtet wird, die aufgrund von Diskriminierungsmerkmalen wie zum Beispiel Geschlecht und sexuelle Identität einen zielgruppenspezifischen Schutz- und Hilfebedarf haben. In der Berichtslegung finden vulnerable Gruppen, insbesondere Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sowie mit Fluchterfahrung und Jugendliche, die LSBTIQ*sind sowie Kinder und Jugendliche die in Gemeinschaftsunterkünften sowie in sonstigen stationären Betreuungs- und Unterbringungsformen leben, Berücksichtigung.

 

Unter anderem weisen die Ergebnisse der 9. Welle der BZgA-Studie „Jugendsexualität“ auf eine überdurchschnittlich starke Betroffenheit von sexualisierter Gewalt bei nicht-heterosexuellen Jugendlichen hin. Danach sind junge bi- und homosexuelle Menschen deutlicher häufiger nichtkörperlicher sexualisierter Gewalt ausgesetzt als Gleichaltrige mit heterosexueller Orientierung (38% der Mädchen bzw. jungen Frauen bzw. 52% der Jungen bzw. jungen Männern).

 

Neben Geschlecht, Alter und sexuelle Aktivität ist die sexuelle Orientierung auch ein zentraler Risikofaktor für die Erfahrung körperlich sexualisierter Gewalt. Lesbische, schwule und bisexuelle Jugendliche haben auch ein größeres Risiko von körperlicher sexualisierter Gewalt betroffen zu sein: 34% der lesbischen und bisexuellen Mädchen und jungen Frauen (im Vergleich zu 16% der heterosexuellen Mädchen und jungen Frauen) bzw. 11% der schwulen und bisexuellen Jungen und jungen Männern (im Vergleich zu 5% der heterosexuellen Jungen und jungen Männern). Lesbische und bisexuelle Mädchen und jungen Frauen sind laut dem Bericht zur Jugendsexualität damit die am stärksten betroffene Gruppe.

 

Auch in der 2015 vom Deutschen Jugendinstitut herausgegebenen Studie „Coming-out und dann“ gab jede*r dritte LSBTIQ*-Jugendliche an, in der Öffentlichkeit wegen der eigenen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität sexuell belästigt oder beleidigt worden zu sein. Bei den trans* weiblichen Jugendlichen ist es sogar jede Zweite. Die von mehr als einem Drittel (36%) der Jugendlichen formulierte Befürchtung, nach einem äußeren Coming-out sexuelle Beleidigungen oder Belästigungen zu erfahren, zeigt sich als durchaus berechtigt.

 

Die Studie „Safe Sport. Schutz von Kindern und Jugendlichen im organisierten Sport in Deutschland“ (2016) befragte Kaderathlet*innen ab 16 Jahren zu Erfahrungen mit dem Thema sexualisierte Gewalt im gemeinnützig organisierten Sport in Deutschland. Sportler*innen mit nicht-heterosexueller Orientierung erfahren sexualisierte Gewalt signifikant häufiger als heterosexuelle Athlet*innen. Gaben bei den heterosexuellen Befragten 3 Prozent an, sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt erlebt zu haben, sind es bei den nicht-heterosexuellen Befragten fast jede*r Achte (13 %).

 

Nach dieser „Safe Sport“-Studie zum Leistungssport startete 2020 das bundesweit erste Forschungsprojekt „Sicher im Sport“ zu Erfahrungen mit sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt im Vereinssport bzw. Breitensport. In den 2022 veröffentlichten Ergebnissen bestätigte sich die erhöhte Betroffenheit von nicht-heterosexuellen Sportler*innen. Danach berichten Personen mit nicht-heterosexueller Orientierung über alle Formen der Gewalt hinweg häufiger von Übergriffen innerhalb des Sports als Sporttreibende mit heterosexueller Orientierung. So gaben 48% der nicht-heterosexuellen Befragten Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt ohne Körperkontakt an (im Vergleich zu 25% der heterosexuellen Befragten), 32% berichteten von sexualisierter Gewalt mit Körperkontakt (im Vergleich zu 14% der heterosexuellen Befragten).

 

Studie „Coming-out und dann”

https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2015/DJI_Broschuere_ComingOut.pdf)

 

  1. Welle der BZgA-Studie „Jugendsexualität“

https://shop.bzga.de/faktenblatt-18-sexuelle-orientierung-junger-menschen-in-deutschland/

 

Safe Sport (2016)

https://static-dsj-de.s3.amazonaws.com/Themen/Kinderschutz/Forschungsprojekte/SafeSport-Ergebnisbericht_23.11.2016-Final.pdf

 

Sicher im Sport: Sexualisierte Grenzverletzungen, Belästigung und Gewalt im organisierten Sport – Häufigkeiten und Formen sowie der Status Quo der Prävention und Intervention. (2022)

https://www.lsb.nrw/fileadmin/global/media/Downloadcenter/Sexualisierte_Gewalt/Bericht_zum_Forschungsprojekt_SicherImSport.pdf