Offener Brief – Amtsübergabe

6. Mai 2025

Liebe queere Community,

heute geht meine Zeit als Queer-Beauftragter der Bundesregierung zu Ende.

Ich möchte mich von euch verabschieden – aber vor allem von Herzen Danke sagen: für eure Unterstützung, eure vielen kritisch-solidarischen Impulse und die gute Zusammenarbeit. Es war mir eine große Ehre und ich habe dieses Amt unglaublich gerne ausgeübt.

Gemeinsam haben wir viel erreicht.

Als die Ampel-Regierung vor rund dreieinhalb Jahren, im Januar 2022, das neue Amt geschaffen hat, war das ein starkes Zeichen: Queere Themen gehören ins Zentrum der Politik. Zum ersten Mal gab es eine offizielle Ansprechperson im Range eines Parlamentarischen Staatssekretärs in der Bundesregierung, die sich ganz konkret für die Belange von LSBTIQ* eingesetzt hat. Ich durfte eure Perspektiven in Gesetze und politische Entscheidungen einbringen – bei großen, aber auch bei vielen kleinen Vorhaben. Mit dem Amt haben queerpolitische Anliegen auch an öffentlicher und medialer Sichtbarkeit gewonnen.

Ich hoffe, meine Arbeit hat euch gezeigt: Ihr werdet gesehen. Eure Anliegen sind wichtig. Die Politik hört zu.

In diesen letzten Jahren ist einiges passiert:

  • Wir haben diskriminierende Regelungen bei der Blutspende gesetzlich abgeschafft.
  • Hassverbrechen gegen LSBTIQ* werden jetzt im Strafrecht ausdrücklich benannt.
  • Das sogenannte „Diskretionsgebot“ für queere Geflüchtete haben wir gestrichen.
  • Und zum ersten Mal gibt es einen bundesweiten Aktionsplan „Queer leben“ – mit konkreten Maßnahmen, um Akzeptanz und Schutz von LSBTIQ* zu stärken.
  • Selbstbestimmungsgesetz beschlossen

Mein persönlich wichtigster Erfolg – und zugleich die größte Herausforderung – war die Abschaffung des entwürdigenden Transsexuellengesetzes. Das neue Selbstbestimmungsgesetz bedeutet für viele trans* und nicht-binäre Menschen ein großes Stück Würde, Freiheit und Anerkennung. Ich bekomme nach wie vor viele Nachrichten aus der Community, die mich tief berühren.

Auch international spiegelt sich unsere Arbeit wieder: Zum ersten Mal gehört Deutschland zu den Top 10 in Europa bei der rechtlichen Gleichstellung von LSBTIQ*. Darauf bin ich sehr stolz.

Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Wir wissen: Es gibt auch eine andere.

Wir müssen nicht nach Russland, Ungarn oder in die USA schauen, um politische Kräfte zu finden, die LSBTIQ* mit forcierten Angriffen und Kampagnen in die Rechtslosigkeit und Unsichtbarkeit zurückdrängen wollen. Wir erleben, wie rechtsextreme Gruppen in Deutschland gezielt gegen LSBTIQ* hetzen – offener und aggressiver denn je. Der Verfassungsschutz warnt vor einer gewaltbereiten rechtsextremen Jugendkultur. Zeitgleich mit dem Aufstieg der AfD erleben wir, wie der Ton in der Gesellschaft rauer wird. Die Sprache wird härter, Menschen werden eingeschüchtert. Rechte Parolen und Hass werden immer lauter – und das bleibt nicht folgenlos. Sie stacheln Menschen an, wiegeln sie auf und ermutigen sie zu aggressivem Verhalten im Alltag.

Der Rechtsruck ist eine reale Bedrohung – für queere Menschen, für unsere Demokratie, für unser Zusammenleben. Viele spüren das im Alltag ganz konkret. Akzeptanz ist leider keine Selbstverständlichkeit. Sie kann auch wieder verloren gehen.

Deshalb bleibt es unsere gemeinsame Aufgabe, gegen Queerfeindlichkeit aufzustehen – und für eine offene, vielfältige Gesellschaft und Demokratie zu kämpfen.

Was kommt jetzt?

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht leider kaum etwas zu queerpolitischen Themen. Nichts zur notwendigen Reform des Abstammungsrechts für Regenbogenfamilien. Nichts zur Ergänzung von Artikel 3 Grundgesetz. Nichts zur Fortsetzung des Aktionsplans „Queer leben“, nichts zur Zukunft des Amtes der*des Queer-Beauftragten.

Ich hoffe jedoch weiterhin, dass die neue Bundesregierung an die Arbeit der letzten Jahre anknüpft. Das Amt der*des Queer-Beauftragten ersatzlos zu streichen, wäre ein Rückschritt – und ein fatales Signal an unsere Community.

Denn: Eine erfolgreiche Queerpolitik ist kein Selbstläufer. Kein Fortschritt fällt vom Himmel. Rechte und Freiheiten sind nie selbstverständlich. Sie müssen immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden. Dafür braucht es Mut, Ausdauer und einen langen Atem.

Und den haben wir.

Unsere Community hat so oft bewiesen, wie stark sie ist. Wir sind mutig. Wir sind widerstandsfähig. Wir geben nicht auf. Und genau deshalb bin ich optimistisch und glaube an eine gute Zukunft.

Wir lassen uns nicht wieder entrechten oder unsichtbar machen.

Freiheit wird gewinnen. Demokratie wird gewinnen. Liebe wird gewinnen.

Alles, alles Gute – und mit herzlichen Grüßen,

Euer Sven Lehmann